Zugegeben diese Frage ist etwas provokant. Aber an vielen Stellen im öffentlichen Sektor lässt sich beobachten, dass mit der Digitalisierung neue Arbeitsumgebungen entstehen, die neue Formen der Mitbestimmung und Mitwirkung erfordern. Wenn sich die Arbeitswelt der öffentlichen Verwaltung zu-nehmend digitalisiert, reicht als gewerkschaftliches Handeln die Forderung nach höherer Vergütung einfach nicht mehr aus und wird früher oder später vor dem Hintergrund der Digitalisierung ins Leere laufen. Aus arbeitsplatznahen Untersuchungen, wie z.B. bei den Service Centern der einheitlichen Behördenrufnummer 115 oder auch der eAkte, ergibt sich, dass in Praxisprojekten die bewusste Gestaltung der Arbeitsorganisation kaum eingeplant wird bzw. kaum vorkommt; sie ist außerhalb des Denkhorizonts von Entscheidern. Allenfalls wird auf Technikgestaltung und -akzeptanz geschaut. Die Arbeitsorganisation wird in vielen Digitalisierungsprojekten, zur unbestimmten Restgröße, die sich mehr oder weniger als Zufallsprodukt ergibt. So sind die empirischen Befunde aus E-Akte-Projekten, bei de-nen nach Projekteinführung mehr gedruckt wird als zuvor, Prozesse länger dauern als zuvor und der Arbeitsaufwand erheblich zugenommen hat, nicht verwunderlich. Dass solche Projekte schwerlich als erfolgreich zu bezeichnen sind, ist selbstredend.
Wenn sie Glück haben, können die Arbeitnehmervertreter zu Beginn der Projekte „mitbestimmen“, ob es ein solches Projekt geben soll. Allerdings stehen zu Beginn solcher Projekte kaum hinreichend konkrete Konzepte bereit, so dass die Personalräte mehr oder weniger die „Katze im Sack“ kaufen und damit die Mitbestimmung de facto ins Leere läuft. Nicht selten werden die Arbeitnehmervertretungen auch erst einbezogen, wenn Projekte schon im Gange sind bzw. die Software schon beschafft ist. Mitbestimmung wird dann noch mehr zur Farce. Der eigentliche Punkt ist, dass die einmalige Mitbestimmung, wie sie aus dem Personalvertretungsrecht der 1970er Jahre kommt, heute so allein nicht mehr für Digitalisierungsvorhaben funktioniert, weil die eigentlichen Fragen und Formen der Arbeitsgestaltung sich erst im Laufe des Projektes ergeben. Das war in der Tendenz schon immer so bei Projekten. Die heutige Digitalisierung verstärkt diese Problematik allerdings immens! Um die Mitgestaltung seitens der Arbeitnehmer sicherzustellen, sind Instrumente gefragt, die eine Mitgestaltung ermöglichen, ohne hochspezialisierter IT- und/oder Organisationsexperte sein zu müssen, weil es die Personalräte eben meistens nicht sind. Hier sollten Gewerkschaften wie Arbeitnehmervertreter einfach handhabbare Instrumente der soziotechnischen Mitgestaltung bereitstellen, die aber vielfach noch zu entwickeln sind. Wissenschaft kann einen Beitrag leisten, solche Methoden zu entwickeln und erproben.
Im Kern lässt sich festhalten: Es bedarf der bewussten prozessualen Mitgestaltung (nicht nur der passiven einmaligen Mitwirkung seitens der Arbeitnehmervertreter). Hier geht es um soziotechnische Systeme, die (mit-)gestaltet werden müssen, um die gewünschten Digitalisierungseffekte auch zu erreichen. Diese prozessuale soziotechnische Mitgestaltung ist mehr als nur notwendiges ressourcenver-brauchendes Übel. Wer Mitgestaltung im Sinne von Co-produktion versäumt, muss mit Blockaden im Prozess rechnen und am Ende mit geringer Akzeptanz bei den Beschäftigten. In der Folge bleiben gewünschte Digitalisierungseffekte aus. Das heißt, Mitgestaltung ist zentrale Voraussetzung, damit Digitalisierung gelingt. Dabei sollten die Arbeitsplätze so gestaltet werden, dass Motivation, Sinngehalt, (psychische) Gesundheit etc. erhalten bleiben oder erhöht werden. Insofern bedarf es eher eine Neuauflage alter gewerkschaftlicher Initiativen der 1970er Jahre, die für die Humanisierung der Arbeitswelt plädierten, statt abstrakte, vernebelnde und vielfach beratergetriebene „4.0-Rhetorik“.