13. Dezember 2023 Wie wollen wir arbeiten?
Ein Plädoyer für eine zwischenmenschliche Perspektive
Kultur – ein schwieriger Begriff
Wenn Sie die Arbeit des Stein-Hardenberg Instituts schon länger verfolgen, kennen Sie sicher den EGovCampus und unsere Kurse Verwaltungsportale und Neues Arbeiten und Führen in digitalisierten Verwaltungsstrukture (NAFDV). Falls nicht, möchte ich Ihnen diese wärmstens empfehlen. Eine Lehreinheit in NAFDV beschäftigt sich mit dem Thema Arbeits- beziehungsweise Organisationskultur. Kultur – ein Begriff, der ganz selbstverständlich ausgesprochen wird und so bedeutungsarm und -reich zugleich ist. Was bedeutet Kultur für Sie? Speziell im Kontext Arbeit, Unternehmen, öffentliche Verwaltung.
Die gemeinsame Arbeit an den Lehrinhalten hat gezeigt, wie unterschiedlich mit diesem Wort umgegangen wird. Und auch welches Unbehagen ein so schwammiger, weicher Begriff bei manchen Menschen auslöst. Wir haben nichts messbares, kein vermeintlich objektives Richtig oder Falsch. Wir sprechen von geteilten oder umkämpften Werten, Bedeutung und Strukturen, woran auch immer diese Faktoren festzumachen sind – das ist es schließlich, was Kulturen ausmacht. Und so wird dieser Begriff auch in den Geisteswissenschaften behandelt: als Zusammenfassung der unsichtbaren Verbindungen und Interaktionen zwischen den sowie die geteilten Zuschreibungen durch die Akteur:innen in und zwischen Milieus und Gesellschaften. Dieses schwer zu fassende Etwas wird übrigens auch in dem Lehrvideo und der Art des Vortrags ziemlich deutlich.
Sind wir auf Kurs?
Angesichst dessen und meinen ganz persönlichen Erfahrungen aus dem beruflichen Leben musste ich mich zwangsläufig fragen, was genau wir eigentlich vermitteln wollen. Öffentliche Verwaltungen sollen moderner und digitaler werden. Schlagworte, wie zeitliche und räumliche Flexibilisierung, flache Hierarchien, direkte Kommunikation und noch so viele mehr, sind Anzeichen für eine solche Entwicklung. Konkret sehen wir hypermoderne Bürokonzepte, neue Arbeitszeitmodelle, Homeoffice, digitale Infrastrukturen, Brownbag Lunches, und, und, und. Arbeitskultur scheint in meinen Augen immer öfter zu einem Konzept stetiger Modernisierung und (Selbst-)Optimierung in einem wirtschaftlichen, fast neoliberalen Sinne zu verkommen.
Doch was ist eigentlich mit dem Faktor Mensch? Und ich spreche nicht von Schulungsmaßnahmen, angepassten Führungsstilen, Subjektivierungstendenzen (man könnte hier auch vom unternehmerischen Selbst sprechen) oder Vertrauensvorschüssen. Ich möchte auf die ganz persönlichen Ressourcen der Menschen zu sprechen kommen. Wie schaffe ich in einer sich zunehmend technisierenden, flexibilisierenden Arbeitswelt (Stichwort: VUCA) Strukturen der Resilienz? Wie kann ich Verunsicherungen, potenzieller Überforderung und Überlastung, Gefühlen der Vereinsamung begegnen und sogar entgegenwirken? Was ist notwendig, um Situationen, welche jeglicher Wirtschaftlichkeit widersprechen, mit den Interessen einer Organisation in Einklang zu bringen?
Ein Schlüsselerlebnis
Ich selbst durfte das in der jüngsten Vergangenheit erleben. Als Quereinsteiger bin ich in einem extrem offenen Arbeitskontext gelandet: Maximale Selbstorganisation und -Verantwortung hinsichtlich der Arbeitszeit und des -Ortes, ein räumlich verstreutes Team, interdisziplinäres Arbeiten – das bedeutet 150% Commitment. Und das private Leben wartet in der Regel auch nicht auf einen selbst. Die Konsequenz waren Überlastungserscheinungen, sinkende Produktivität bis hin zu depressiven Symptomen.
Wie kann das Arbeitsumfeld mit so etwas umgehen? Zu meinem Glück sind eine offene, ehrliche, aber auch bedürfnisorientierte Kommunikation ein Grundprinzip am Stein-Hardenberg Institut. Projekte und Mensch müssen in solchen Situationen voneinander getrennt betrachtet werden, ohne den Menschen sich selbst zu überlassen. Wir haben ganz offen besprochen, welche Aufgaben machbar sind und welche nicht, wer an welcher Stelle inhaltlich unterstützen kann und wie sich der Weg zurück in die Projektarbeit gestaltet. Ebenso wurden ohne große Ausschweife mögliche berufliche und persönlich Ursachen für den derzeitigen Zustand diskutiert und nach Lösungen gesucht. Und schließlich ging es auch darum zu sehen, was dies perspektivisch für die zukünftige Zusammenarbeit bedeutet. Dabei wurden neben wirtschaftlichen Faktoren, nämlich bis zu welchem Punkt was tragbar sei, besonders individuelle Erfahrungen geteilt und Verständnis für das eigene Befinden gezeigt. Es stellte sich heraus, dass der:die ein oder andere Kolleg:in ähnliche Dinge durchlebt hat und die unterschiedlichsten Entscheidungen zu deren Wohlbefinden beigetragen haben: eine veränderte Aufgaben, ein Jobwechsel bis hin zur Therapie.
Der Mensch im Zentrum
Was möchte ich also nun mit diesen zugegebenermaßen allgemein gehaltenen Zeilen sagen? Und was hat das mit Arbeitskultur zu tun? Ich möchte Sie in aller erster Linie zum Nachdenken anregen. Fragen Sie sich doch einmal, was wäre, wenn Sie in meine Situation kämen?
Außerdem plädiere ich dafür Arbeitskultur weniger wirtschaftlich und aus der Perspektive des Managements zu betrachten, sondern stattdessen aus zwischenmenschlicher Sicht. In einer Zeit, in der der Mensch immer mehr persönliches von sich in seine Arbeit investiert und die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zunehmend verschwimmen (und das ist bei weitem keine neue oder sonderlich originelle Feststellung), sollte eben persönlichen Befindlichkeiten in der Arbeitswelt mit viel mehr Aufmerksamkeit und vor allem Offenheit begegnet werden. Welche neuen, teilweise schwer zu greifenden Faktoren spielen eine Rolle in unserer Arbeitswelt? Und welche Bedeutung schreibe ich diesen zu? Ich habe vor kurzem einen LinkedIn-Post gelesen, dass das Büroleben eines Beratungsunternehmens manchmal etwas auf den Kopf gestellt wird, weil die Kinderbetreuung kurzfristig ausgefallen ist und der Nachwuchs deshalb mit in das Büro kommt. Was für die einen möglicherweise als enormer Störfaktor gewertet wird, wurde dort als eine wohltuende, ja spaßige Abwechslung beschrieben. Und alle haben sich auf die ein oder andere Art mitgekümmert.
Ein möglicher Denkanstoß
Ich denke es wird Zeit, sich in mancherlei Hinsicht von Zahlen und Fakten zu verabschieden dafür qualitativen, nämlich weichen und nicht messbaren, Aspekten mehr Raum zu geben. Ich frage mich oft, ob es nicht hilfreicher wäre, erst einmal ein gesundes und sicheres Miteinander zu gestalten, bevor wir unsere Büros und digitalen Werkzeuge aufhübschen. Ließe sich dadurch nicht auch leichter mit Skepsis und Groll gegenüber Veränderungen begegnen? Schließlich arbeiten wir am Ende ja auch MIT all den neuen Dingen und Strukturen.
Ganz nebenbei bedeutet diese Perspektive auch, einen wichtigen und notwendigen Schritt hin zu einem echten diskriminierungssensiblen Arbeitsumfeld gegenüber den von verschiedenen -Ismen betroffenen Menschen. Aber dieses Thema verdient mindestens einen eigenen Blogbeitrag!
Ich bin sicher, jede:r von Ihnen kennt ähnliche Situationen, wie beschrieben – Positive wie Negative. Was hätten Sie sich zu der Zeit gewünscht? Wofür waren Sie dankbar? Und wie können Sie selbst zu einem besseren Miteinander beitragen?
Denken Sie mal drüber nach!
Beitrag von Philipp Bornheimer