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17. Mai 2023 Wir müssen über Prozesse reden!

In vielen Projekten des SHI begegnen wir immer wieder ähnlichen Fragen: Wie lenken wir die Aufmerksamkeit einer Organisation auf ihre eigenen Arbeitsabläufe und verstetigen dies? Obwohl bereits in vielen Organisation inzwischen ein breites Bewusstsein darüber herrscht, wie wichtig Prozesse für angestrebte Veränderungsbestrebungen sind, kratzen die meisten Organisationen oft nur an der Oberfläche möglicher Optimierungspotenziale bzw. einer täglichen Reflexion der eigenen Arbeitsweise.

Während ich an diesem Beitrag arbeitete, zeigte sich, dass auch wir am Stein-Hardenberg Institut aus vielen verschiedenen Perspektiven auf Prozesse blicken und in unseren Diskussionen jeweils ganz eigene Schwerpunkte legen. Es gibt also nicht den einen Weg, mit und an Prozessen zu arbeiten. Einige bevorzugen eher eine strategische Draufsicht in Bezug auf Vollzugskritik. Andere schauen auf die Optimierungspotenziale bestehender Prozesse oder fragen aus methodischer Sicht nach Arbeitsweisen und Arbeitskulturen. Wieder andere fokussieren die Mitarbeitendenperspektive und deren Antriebes sowie die persönliche Motivation. So viel also vorab: ganzheitliche Prozessarbeit ist multiperspektivisch, interdisziplinär und multidimensional.

Bevor ich näher auf zwei der genannten Perspektiven eingehe, möchte ich zunächst grundlegend klären:

Warum Prozesse?

Organisation, Arbeitsteilung und InnovationVereinfacht ausgedrückt sind Prozesse eine Abfolge bestimmter Aktivitäten, die schließlich zu einem Produkt oder einer Leistung führen. Öffentliche Verwaltungen sind komplexe Systeme. Ein Blick auf die Strukturen gibt zumindest einen formalen Ein- und Überblick über die Organisations- und Funktionsweise: Darunter fallen Zuständigkeiten, Arbeitsverteilung und der Zusammenhang zwischen den einzelnen Organisationseinheiten (Dezernate, Abteilungen, Dienststellen, etc.). Allerdings lassen sich häufig erst in der Auseinandersetzung mit Abläufen Ansätze für Modernisierungs- und Digitalisierungspotenziale finden. Denn Fragen, wie etwas abläuft und warum es genau so abläuft, nach den Zielen, den eingesetzten Werkzeugen und den beteiligten Akteur:innen, sind unabdingbar für Veränderung und helfen beim Verstehen des Beitrags der eigenen Arbeit in den vorhandenen Strukturen.

Prozessarbeit ist daher kein Selbstzweck, sondern kann viel mehr als ein wichtiges Mittel zum Erreichen der jeweiligen Ziele einer Organisation verstanden werden: Sei es Effizienzsteigerung, die Herstellung von Transparenz über Verwaltungshandeln oder die Resilienzförderung im Falle äußerer Störungen.

Prozesse in öffentlichen Verwaltungen

Wir sehen: Es wird über Prozesse gesprochen! Prozesse nehmen einen zunehmend größeren Stellenwert im öffentlichen Sektor ein. Oftmals folgt die Prozessarbeit dabei einem stark bürokratisierten Vorgehen – in groß angelegten Projekten wird eine Vielzahl der Abläufe mit formalisierten Tools erhoben und dokumentiert; in der Folge entstehen riesige Register und Bibliotheken für BPMN-Notationen von Ist-Prozessen. Problematisch: Selten und wenn werden lediglich moderate Veränderungsimpulse darin festgehalten.

Die Logik öffentlicher Verwaltung ist historisch gewachsen und orientiert sich daher bis heute vordergründig an Strukturen. Diese dienen schließlich dazu, Verwaltungshandeln zu legitimieren, sicherzustellen und dafür, Rechtskonformität zu gewährleisten. Prozessarbeit wird also nach dieser tiefsitzenden Logik oftmals bürokratisch verdaut.

„Prozessarbeit“ am SHI

Wir vom SHI möchten Prozesse stattdessen mit Leben füllen. Arbeits- und organisationskulturelle Wirkmechanismen (Faktoren) sollen für alle Beteiligten sichtbar und nachvollziehbar gemacht werden – und zwar nicht nur die, die im Laufe der Zeit über als allgemeingültig erklärt wurden und als lose Zuschreibungen durch die Flure der Behörden geistern – und darüber hinaus. Damit ist gemeint, die Perspektiven, Schwierigkeiten, Ideen und Vorschläge auf, mit und über das real stattfindende Vorgehen ernsthaft in Veränderungsvorhaben mit einzubeziehen.

Schließlich sind es die Mitarbeitenden selbst, die tagtäglich mit den Neurungen arbeiten sollen und im besten Fall auch wollen – Stichwort Akzeptanz. Indem eine tiefgehende Prozessdiskussion und -Reflexion aus Sicht der Mitarbeitenden geführt wird, können sich diese auch mit Veränderungsperspektiven identifizieren und diese schließlich in ihrer alltäglichen Arbeit leben.

„Prozessarbeit“ beginnt aus unserer Sicht daher auch mit der grundlegenden Frage: Wie kann Arbeit inhaltlich umgestaltet werden? Es geht darum, einen Schritt zurückzutreten und ein gemeinsames, organisationsweites Verständnis von den Abläufen und der Art der Zusammenarbeit zu schaffen. Und zwar über einen möglichst einfachen Zugang – gar spielerisch – und nicht indem Prozesse bis ins letzte Detail „ausmodelliert“ werden und in einem Modellierungstool „versauern“. Erst dann wird eine Organisation langfristig lern- und entwicklungsfähig, ohne die einzelnen Beteiligten mit vermeintlichem Expertentum und anspruchsvollen Analysemethoden zu überfordern.

Prozesse werden gelegt

Ein zweiter wesentlicher Blickwinkel: die strukturelle/strategische Sicht. Bevor der teilweise von außen angetriebene Transformationseifer in vorschnellen Umsetzungsprojekten endet, sollte gefragt werden: Inwiefern „brauchen“ wir als Organisation diese Aufgabe/ diesen Prozess noch? Oder was davon „brauchen“ wir als Organisation eigentlich noch? Welche technischen Hilfsmittel sind für welchen Ablauf hilfreich? Verwaltungswissenschaftlich ausgedrückt: Aufgaben- und Zweckkritik vor Vollzugskritik und bevor es an die eigentliche Prozessarbeit/-diskussion geht. Sehen Sie hierzu auch den Beitrag von Stephan Löbel und Tino Schuppan zum Thema Prozessmanagement im Handbuch Digitalisierung der Verwaltung (2023).

Konkret werden diese Fragen mit Hilfe einfacher, haptischer Methoden zur Prozesserhebung diskutiert. Da die Verwaltungspraxis diese auch einfach und selbstständig anwenden kann, versuchen wir so in den Organisationen einen nachhaltigen Lernprozess anzustoßen. Denn bekanntlich beginnt echtes Lernen mit Fragen. Und im Idealfall baut sich somit eine kontinuierlich stattfindende und selbstverständliche Reflexionspraxis auf. Prozessmanagement kann dann als kulturelle Aufgabe, in der Reflexion und Veränderung als kollektiver Lernprozess im Zentrum stehen, verstanden werden.

Und Sie?

Möglicherweise haben Sie bereits ein gut gefülltes Prozessregister. Vielleicht sind erste Neuerungen bereits umgesetzt oder in Planung. Einiges an Arbeit haben Sie schon geleistet. Einiges steht womöglich noch bevor. Sie haben sich getraut hinzusehen! Wie? Das spielt erstmal keine Rolle. Unsere Hochachtung haben Sie. Ich möchte mit diesem Beitrag nicht den Zeigefinger erheben und einen vermeintlichen Königsweg vorgaukeln. Sschließlich hat jede Organisation ihre ganz eigenen Strukturen und Wirkweisen, die das Vorgehen beeinflussen.

Was ich stattdessen möchte: Ich möchte über Prozesse reden. Wir müssen über Prozesse reden! Und zwar mit den Führungskräften, Bereichsleitungen, Sachbearbeiter:innen und allen, die sonst in die Abläufe involviert sind. Denn nur so lässt sich ein ganzheitliches und einheitliches Zielbild kreieren. Eines, an dessen Wirksamkeit alle Beteiligten glauben und das Lust auf Veränderung macht!

Also: Reden Sie mit uns über Ihre Prozesse! (Gerne auch zu unseren Prozesserhebungs-Tool Modulo 😉)

 

Beitrag von Philipp Bornheimer