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15. März 2023 Insel und Laptop – New Work

Mal was neues Wagen

Remote-Arbeiten und leben auf Teneriffa. Mein Jahresstart war ein klassischer Tapetenwechsel. Über ein Monat ist seit meinem „New-Work-Experiment“ vergangen, bei dem ich die wintergraue Großstadt und chronischen Vitamin-D-Mangel gegen ein „neue“ Arbeitsform in der Ferne getauscht habe. Mit dem persönlichen Ziel: Motivierter und zufriedener in das neue Jahr zu starten.

Im eGovCampus-Kurs „Neues Arbeiten und Führen in digitalisierten Verwaltungsstrukturen“ haben wir uns letztes Jahr intensiv  mit dem Thema der sich verändernden Arbeit und Führung im Kontext von Digitalisierung auseinandergesetzt (Einschreiben lohnt sich: Link hier). Ein zentrales Thema, das viele beschäftigt, sind neuartige Arbeitsmodelle. Seit Beginn der Covid-19-Pandemie gab es einen starken Schub zum mobilen Arbeiten im Homeoffice. Vermehrt wurden Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt und untersucht. In diesem Beitrag möchte ich anhand meiner persönlichen Erfahrungen diskutieren und reflektieren, welche Chancen und Risiken „Remote-Arbeit“ mit sich bringt und welche Rahmenbedingungen beachtet werden sollten. Ich habe bewusst den Begriff „Remote-Arbeit“ gewählt, um ihn von der Arbeit im Homeoffice abzugrenzen, da bei dieser Form aufgrund der großen Entfernung ein einfaches „ins-Büro-Kommen“ nicht ohne weiteres möglich ist.

Einordnung – wieso geht das überhaupt?

Zunächst möchte ich in die Vergangenheit blicken und erklären, warum das Thema für mich so spannend ist. In meiner Ausbildungszeit vor über 10 Jahren wurde ich noch klassisch „büro-sozialisiert“. Der einzige Arbeitsort war das Büro (oder das Büro des Kunden). Wer nicht im Büro ist, arbeitet nicht. Das Büro als Ort stand für etwas Permanentes, unausweichliches, die „Kathedrale der Arbeit“. Über 10 Jahre später sitze ich im nun im Januar mit meinem Laptop auf der Terrasse in Puerto de la Cruz mit Blick auf den Atlantischen Ozean und…arbeite! Das Büro (und Home-Office!) ist 4.500 km entfernt. Meine Aufgaben erledige ich (fast) wie gewohnt: tausche mich mit Kollegen und Kunden in zahlreichen Meetings aus, erstelle Präsentationen und Texte, halte Lehrveranstaltungen und gehe eben meinem üblichen Arbeitsalltag nach. Aber nicht nur der Arbeitsort hat sich geändert. Auch das Gefühl beim Erleben meiner Arbeit.

Wie ist das möglich? Und warum wird dieses „alternative“ Arbeiten von Arbeitgebern akzeptiert? Mitarbeitende sind doch im Büro vor Ort viel besser zu steuern als auf weit entfernten Inseln – oder?!

Ich sehe vor allem drei ermöglichende Faktoren, die Hand-in-Hand gehen:

  • Digitalisierung ermöglicht durch vielfältige IT-basierte Potenziale neue Arbeitsmodelle und -formen. Arbeit wird zunehmend zeit-, ortsunabhängig und flexibel. Flexible Arbeit gilt dabei als Sammelbegriff für Beschäftigungsformen, die von bisherigen Modellen hinsichtlich Arbeitszeit, -form und -ort abweichen.
  • Nicht nur neue technische Möglichkeiten ebnen den Weg, auch das Führungsverständnis ist im Wandel. Zunehmend orientieren sich Führungskonzepte an (Projekt)Fristen und Ergebnissen und weniger an klassischer „Inputsteuerung“. Das Vertrauen in Mitarbeitende zur ordentlichen Arbeitserledigung unabhängig von der Arbeitszeit und dem Arbeitsort steigt. Es gilt in vielen Fällen ein Vertrauensvorschuss.
  • Mitarbeitende suchen heutzutage vermehrt nach einer Vielfalt an möglichen Arbeitsformen und -modellen, die ihren individuellen Lebenssituationen entsprechen. Bei der Auswahl ihres Arbeitgebers orientieren sie sich zunehmend an nicht extrinsischen Faktoren, die über das reine Gehalt hinausgehen. Insbesondere vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sind Unternehmen dazu bereit, alternative Arbeitsmodelle zu fördern. Die öffentliche Verwaltung sollte diesem Trend folgen und sich ebenfalls für diese Möglichkeiten öffnen.

Das habe ich erlebt – Chancen und Risiken

Rückblickend sehe ich Chancen und Risiken von Remote-Arbeit. Chancen basieren primär auf psychologischen Faktoren des Arbeitserlebens. Die Arbeitszufriedenheit nahm im Vergleich zu den vorherigen Jahren deutlich zu. Mein fast schon planbares Motivationsloch im Januar fiel aus. Umso besser, durch den Tapetenwechsel und das Vertrauen in meine Person spürte ich eine deutliche Steigerung meiner eigenen intrinsischen Motivation. Arbeitszufriedenheit fußt eben nicht nur auf extrinsischen Faktoren (Gehalt, Status & Co). Nein, insbesondere bei Arbeit in digitalisierten Kontexten wird die intrinsische Motivation immer mehr auch zum Motor für ein zufriedenstellendes Arbeitserleben. Darüber stieg im Vergleich zu den Vorjahren auch meine Kreativität deutlich. Kreativität ist für einige Aufgaben unerlässlich und grundsätzlich schwierig zu „erzwingen“. Die Entfernung zur Heimat sowie die neuen Impulse in meiner Umwelt schafften Raum für neue und freie Denkansätze.

Selbstverständlich gibt es bei solchen Selbstversuchen auch immer einige Risiken. Man kommuniziert tendenziell weniger mit den Kollegen und Vorgesetzen. Man fühlt die Probleme der Organisation „am Heimat-Arbeitsort“ eventuell auch mit einem anderen Abstand. Die Dringlichkeit und Schwere der Arbeit nimmt ab (was wiederum auch ein entlastender psychologischer Faktor sein kann (!)). Es ist absolut zentral, weiterhin und vor allem dann, selbstorganisiert und zuverlässig zu arbeiten. Das gewohnte Arbeitsumfeld verschwindet und man muss sich neue Räume und Strukturen schaffen. Es gibt Menschen und Mitarbeitende, die mit zu viel Freiraum und zu wenig Struktur überfordert sein können. Weniger Kommunikation zur Heimat kann hier mehr Nachteile verursachen als Vorteile. Darüber hinaus hängt es auch von der individuellen Lebenssituation und dem Berufsschwerpunkt ab, ob die Arbeit in Remote-Konstellationen einfacher oder schwieriger ist. Wenn Präsenztermine vor Ort notwendig sind, beispielsweise in Form von Kundenterminen, gibt es klare Grenzen für die Dauer einer solchen Erfahrung.

Nach meiner Einschätzung überwiegen die Chancen jedoch die Risiken deutlich. Remote-Arbeit kann einen echten Boost zur Mitarbeiterzufriedenheit beitragen. Auch die so wichtige Bindung ans Unternehmen wird durch den Vertrauensvorschuss gestärkt. Um erfolgreich und zufriedenstellend remote zu arbeiten, gibt es jedoch wichtige Rahmenbedingungen, die beachtet werden sollten.

Darauf kommt’s an – Rahmenbedingungen und Empfehlungen

Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen gibt es eine Vielzahl an technisch-sozialen Anforderungen, die beachtet werden sollten:

  • Funktionierende technische Infrastruktur (Hardware, Internetverbindung, VPN, gemeinsame Datenablage, Kollaborationsanwendungen, etc.)
  • Unterstützung durch Führungskraft/Vertrauen und Austausch bei Problemen
  • Kommunikation im Team aufrechterhalten durch regelmäßige Absprachen / Verfügbarkeit
  • Terminmanagement trotz unterschiedlicher Zeitzonen organisieren
  • Arbeitsumgebung (Ort, Ausstattung, Bewegung, Lautstärke, etc.) beachten
  • Soziale Faktoren (Kommunikation mit Menschen am Remote-Arbeitsort) bedenken

Es ist wichtig, sich an bestehenden Austauschformaten zu orientieren und den Tag wie gewohnt zu strukturieren. Wichtige Meetings sollten trotz Abstand priorisiert werden und auch das Arbeitsumfeld sollte im Vorfeld bedacht werden, um Frustration zu vermeiden. Wenn man mehrere Tage allein in einem Hotelzimmer arbeitet, kann dies schnell langweilig werden. Daher empfehle ich, je nach Dauer der Remote-Arbeitserfahrung spezialisierte Arbeitsorte wie Co-Working- oder Co-Living-Spaces auszuprobieren. Diese offenen Arbeitsorte bieten Remote-Arbeitenden aus der ganzen Welt größere Büroräume und im Fall von Co-Living sogar eine gemeinsame Unterkunft. Der Fokus auf Community-Building erzeugt ein kreatives Arbeitsumfeld und schafft wichtige soziale Austauschbegegnungen. Allerdings sollte man darauf achten, die verschiedenen Anbieter auszuprobieren und sich auf den Fokus der jeweiligen Anbieter zu konzentrieren, da die Anzahl der Anbieter mit jedem Blogbeitrag stark steigt.

Fazit – Let’s try it out!

Rückblickend hat mir die Erfahrung gutgetan. Ich habe nicht nur die Zeit im Januar bewusster genossen, sondern konnte auch weiter über New Work reflektieren und damit eigene Erfahrungen für unsere Forschung und Lehre nutzen. Das Wichtigste – ich habe mein persönliches Ziel erreicht: motivierter und zufriedener in das neue Jahr zu starten.

 

Beitrag von Philipp Kuscher